Die Frau mit den Karfunkelsteinen by Marlitt Eugenie

Die Frau mit den Karfunkelsteinen by Marlitt Eugenie

Autor:Marlitt, Eugenie
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T05:00:00+00:00


14

In der Wohnstube wurden die Rollvorhänge herabgelassen. Wer mochte auch noch hinaussehen auf den Markt, wo sich die unglücklichen Menschenwesen, die das gebieterische »Muß« ins Freie trieb, als unförmliche, flatternde Kleiderbündel mit Lebensgefahr um die Straßenecken kämpften, wo der heulende Unhold das Wasser im Brunnenbecken wütend peitschte und mit allem, was nicht niet- und nagelfest, bis über die Dachfirste hinauf Fangball spielte. Es war bitter kalt geworden, aber Tante Sophie löschte das Feuer im Ofen und stellte dafür die summende Theemaschine auf den Tisch – heute müsse man von innen heizen, sagte sie, in die Schlöte dürfe kein Feuerfunke mehr kommen. Sie hatte noch einmal die Runde durch das ganze Haus gemacht und alle Thüren, Fenster und Bodenluken untersucht und meinte, sie wolle sich nicht wundern, wenn heute nacht auch noch das Dach des Vorderhauses auf den Markt herunterspaziert käme – da oben sei es fürchterlich.

Ein behagliches Beisammensein gab es heute nicht. Der Kommerzienrat wollte nicht essen und blieb oben, und auch Reinhold zog sich, nachdem er mürrisch schweigend eine Tasse Thee getrunken, mit seinem unbesiegbaren Zorn über die Verwüstung des Packhauses, in seine Stube zurück. So blieben Tante Sophie und Margarete allein und wachten der gefahrdrohenden Nacht entgegen. Auch die Dienstleute gingen nicht zu Bette. Sie saßen in der Küche bei einander; die Mägde steckten frierend die Arme unter die Schürze und die Männer kauten an der kalten Pfeife und horchten in stummer Sorge auf das furchtbare Anschwellen der Sturmesstimme... War es doch, als wolle der Orkan die uralte kleine Stadt, die, seit einem Jahrtausend als treuer Wächter an die Pforte des Thüringerwaldes geschmiegt, allen Stürmen, allen Kriegsungewittern getrotzt hatte, in dieser einen Nacht wie ein Kinderspielzeug in Splitter und Scherben zusammenschütteln. Unter seinen Stößen erbebte die Erde, Schlöte und Ziegel rasselten von den Dächern und zerbarsten auf dem Straßenpflaster, und in das Gebrüll und Zornesschnauben hinein mischte es sich wie ein unirdisches Wehklagen, als seien unter den Fußtritten des Dahinrasenden draußen auf dem stillen Fleck vor dem Thore die tiefgebetteten Schläfer erwacht und durchirrten suchend die Gassen, in denen sie vorzeiten gewandelt.

Und gegen die zwölfte Stunde that sich die Stubenthür auf, und Bärbe erschien auf der Schwelle, ganz blaß, schaudergeschüttelt, und den Zeigefinger der Rechten nach der Zimmerdecke emporgereckt. Es tappe und trampele wie mit Reiterstiefeln ganz greulich oben im Gange, und dazwischen werde gepocht und geklopft, als wenn jemand eingesperrt sei und »heraus wolle«, zischelte sie hinter ihren zusammenschlagenden Zähnen, verschwand aber sofort wieder hinter der sacht zugedrückten Thüre, als sich Tante Sophie, ohne ein Wort zu sagen, aus der Sofaecke erhob, die Sturmlaterne anzündete und mit Margarete das Zimmer verließ.

Oben im Flursaal brauste ihnen ein Zugwind entgegen, der sie zurückzuwerfen drohte. Auf dem letzten Büffett brannte die große Tischlampe des Kommerzienrates, und die Thüre nach dem Gange stand weit offen. Von dort her pfiff und orgelte es allerdings, als sause das wilde Heer durch den langen, dunklen Schlund. Tante Tophie trug schleunigst die Lampe, aus welcher die windgejagte Flamme hoch emporschlug, auf das geschützte vordere Büffett, und währenddem betrat Margarete mit hochgehobener Laterne den Gang.



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